Roger Stein: Ein Hoch auf das Unscheinbare (Konzertbericht, Lübeck 2020)

Roger Stein, Lübeck, 2020
Roger Stein auf der Bühne der KulturRösterei in Lübeck, 7. Februar 2020.

Am vergangenen Freitag gastierte der Liedermacher Roger Stein mit seinem Programm Alles vor dem Aber in der gut gefüllten KulturRösterei in Lübeck und überzeugte das zunächst norddeutsch-zurückhaltende Publikum mit Poesie, subtilem Humor und schönen Melodien.


Bevor das erste Lied erklingt, spricht Roger Stein von der Bühne aus Gäste an, die womöglich nicht gut sehen können, ob sie sich nicht umsetzen wollen: Damit ist das Verhältnis zum Publikum für den Abend gleich manifestiert; da ist nicht etwa eine undurchdringbare Mauer, sondern eine menschliche Begegnung. Ambiente und Beleuchtung in der KulturRösterei sind gemütlich, fast wie ein Wohnzimmer, und lädt zu respektvollem Zuhören und unmittelbaren Reaktionen ein.

Der Künstler ist in seiner Kernkompetenz Liedermacher, der sich selbst am Klavier begleitet. Der Stil erinnert manchmal an Georg Kreisler, in der Spielweise und Melodieführung, aber nicht zuletzt auch wegen mancher zackiger unerwarteter Reime. Aber der Abend bietet auch Abwechslung jenseits der Songs am Klavier: Neben einigen gesprochenen gereimten Gedichten sowie gelesenen Auszügen aus dem Buch Business-Lyrik gibt es auch ein paar Stücke, die sich dank einer Loop-Station nur mit perkussiven Mitteln und Stimme immer mehr aufbauen – so kann der Sänger sich selbst ein tolles A-Capella-Ambiente als Begleitmusik schaffen. Ein Paradebeispiel dafür ist das Stück 1890 (Berner Oberland), das ungefähr sieben Minuten lang eine ergreifende (offenbar autobiographische) Familiengeschichte über Generationen hinweg schildert, als eine Art rhythmischer Talking-Blues vorgetragen.

In seinen Moderationen liefert Roger Stein Alltagsphilosophie vom Feinsten und stellt manchen Gedanken in den Raum, der die mal absurd-witzigen, mal eher berührenden Lieder in einen Kontext fügt, der die jeweilige Stimmung noch unterstützen kann. „Wir sind von Ablenkungen geborgen“ heißt es beispielsweise in Überlegungen zu Muße und Müßiggang in unserer bunten und blinkenden Welt, um das Lied Herz anzukündigen, das sich auf poetische Weise mit Abstumpfung auseinandersetzt.

Die Tragik der Poeten ist die: Man gibt sein ganzes Herzblut über Wochen in einen poetischen Text – und schreibt dann in zwei Stunden einen unglaublichen Blödsinn…“ So beschreibt es der dichtende Sänger einmal in den Zugaben und umreißt damit indirekt die Spannweite seines Werkes an diesem Abend. Denn die humorvollen Stücke – wie beispielsweise Detlef über einen unattraktiven zuhause wohnenden Ü30-Mann mit überraschendem Erfolg bei den Frauen – erhalten gewiss die größte Publikumsreaktion. Aber Roger Stein ergreift im Laufe des Konzerts ohnehin immer wieder auch Partei für das Unscheinbare: Sei es unter allen Lebensmitteln das kleine graue Salz oder seien es unter allen Wortarten die doch sinntragenden Konjunktionen – oder eben unter allen Stücken des Programms auch die ruhigen und nachdenklichen, die in den Zuhörenden vielleicht am längsten nachklingen.

Und so schließt auch der Abend – nämlich zunächst mit einem neuen unveröffentlichten Stück voller Biss und Humor und Mitklatschpotenzial (textlich zum Thema ‚Wenn man es gut vorträgt…‘) und zum wirklichen Abschluss dann mit dem ruhigen Lied Manchmal über Kinderglauben und das Abhandenkommen einer, wie es in der Verabschiedung heißt, „Herzenslogik“.

Nach dem Konzert ist klar: Roger Stein schreibt für sich genommen schon gefühlvolle und scharfsinnige Lieder und Gedichte, aber diese eignen sich besonders gut für eine gemütliche Begegnung zwischen Publikum und Künstler wie an diesem Konzertabend in Lübeck.


Tourdaten unter roger-stein.de.